, René Maeder

Wasser für guten Tee – was wirklich zählt

Was Meister in China und Japan seit Jahrhunderten wissen – und warum Schweizer Leitungswasser erstaunlich nah dran ist.

Wenn das Wasser den Tee trägt

In den Felsen der Wuyi-Berge in Fujian entspringen kleine, klare Quellen, die seit Jahrhunderten als heiliges Wasser der Teepflanzen gelten. Hier wächst der berühmte Da Hong Pao (大红袍) – ein Oolong, der nur mit Wasser aus diesen Quellen seinen vollen Charakter entfalten soll. Dieses Wasser ist kühl, weich und leicht mineralisiert.

Genau diese Mischung bringt die typischen Noten des Tees hervor: Röstaromen, Blumigkeit, Tiefe und Süsse in feinem Gleichgewicht. Schon Lǔ Yǔ, der Teemeister der Tang-Dynastie, schrieb im 8. Jahrhundert in seinem Chájīng:

„Das Wasser der Berge ist das Beste, das der Flüsse das Zweitbeste, das der Brunnen das Geringste.“

Er meinte kein Mysterium, sondern eine Beobachtung: Frisches, weiches Quellwasser bringt den Tee zum Sprechen. Es ist lebendig, leicht mineralisiert, frei von Kalk – es lässt Aromen tanzen und Bitterkeit zurücktreten.

Japan – die Kunst des stillen Wassers

Auch in Japan hat das Wasser seinen eigenen Charakter.

In Uji, der Heimat von Sencha und Gyokuro, gibt es die Meisui (名水) – „berühmte Teewässer“, die noch heute von Teeschulen gehütet werden. Sie sind leise, unscheinbar und klar – wie geschaffen für die Präzision und Ruhe des japanischen Tees.

Für Gyokuro oder Matcha gilt: Das Wasser darf den Tee nicht überdecken, sondern soll ihn tragen – wie feiner Nebel über einem See. Weiches Wasser, kaum Mineralien, neutral im Geschmack, einmal erhitzt – mehr braucht es nicht.

Die Essenz der Meister

Egal ob in Wuyi, Uji oder Taipeh – Teemeister sind sich erstaunlich einig: Gutes Wasser ist weich, neutral, frisch und nur einmal aufgekocht.

  • Gesamthärte: etwa 3 – 6 °dH (5 – 10 °fH) – weich bis mittelhart

  • Calcium: 10 – 30 mg/l

  • Magnesium: 5 – 15 mg/l

  • Hydrogencarbonat: unter 100 – 120 mg/l

  • pH-Wert: 6.8 – 7.5 – neutral bis leicht alkalisch

  • Sauerstoff: 8 – 10 mg/l, wenn frisch gezapft

Das Wasser soll ruhig, aber lebendig sein – kein Wasser, das drängt, sondern eines, das Raum schafft. Es lässt den Tee atmen.

Brücke zur Schweiz

Wer in der Schweiz Tee zubereitet, muss keine Quelle suchen.

Das Leitungswasser ist in den meisten Regionen weich, chlorfrei und hervorragend überwacht – und damit erstaunlich nah an dem, was Meister seit Jahrhunderten empfehlen.

  • Zürich: am oberen Rand des Idealbereichs – perfekt für Oolong oder Schwarztee, da etwas mehr Mineralität die Tiefe betont; für feine Grüntees leicht enthärten oder weiches Glas-Flaschenwasser verwenden.

  • Luzern, Bern, Ostschweiz: meist weiches, neutrales Wasser – fast wie Bergquell.

  • Genf: leicht mineralisch, ideal für Oolong und kräftige Schwarztees.

  • Jura-Gebiet und Vorland: oft hartes, kalkreiches Wasser – hier lohnt sich sanftes Filtern oder weiches Flaschenwasser.

Wer sein Wasser frisch zapft, einmal aufkocht und sofort verwendet, trifft den Kern dessen, was über Jahrhunderte als gutes Teewasser galt.

Kein Wunderwasser

Tee ist still, doch voller Leben. Er braucht kein „energetisiertes“ oder „magnetisiertes“ Wasser – nur eines, das rein ist, bewegt und frisch. Schon Lǔ Yǔ wusste, dass gutes Wasser aus der Bewegung kommt, nicht aus Magie.

Und so schliesst sich der Kreis: Zwischen den Quellen der Wuyi-Berge, den stillen Brunnen von Uji und einem Glas Leitungswasser in Zürich liegen Welten – und doch sind sie sich nah.

Fazit

Guter Tee braucht kein Wunder, nur frisches Wasser – weich, klar, lebendig.

Ob Da Hong Pao in den Felsen von Fujian, Gyokuro in Kyoto oder Sencha in Luzern – der Zauber entsteht, wenn Wasser und Blatt sich im richtigen Moment begegnen. Dann wird aus einem Aufguss etwas, das verbindet – still, freundlich, unvergesslich.

René Maeder, Co-Präsident
Teeclub Schweiz